Geschichte eines jungen Stadtteils

Überblick zum Werden des jüngsten Karlsruher Stadtteils

Am Anfang Wald und Heide

Das sandige Gebiet der heutigen Nordstadt mit seinen Heide- und lockeren Waldflächen, die im Osten in die starke Bewaldung des Hardtwaldes übergingen, war über Jahrhunderte „unberührt“, abgesehen von kleinen Verbindungswegen und den seit dem Mittelalter verbrieften Rechten zur Weide- und Holznutzung der benachbarten Hardtdörfer Büchig, Friedrichstal, Hagsfeld, Spöck, Blankenloch, Beiertheim, Rintheim, Mühlburg und den beiden Neureuts (Welsch- und Teutschneureut). Mit der Anlage von Schloss und Stadt Karlsruhe 1715 durchschnitten etliche der 32 vom Schlossturm ausgehenden schnurgeraden Radial-Alleen das Gelände der heutigen Nordstadt:

Mühlburger Allee (heute Moltkestraße, sie begrenzt den Stadtteil im Süden), Knielinger Allee, Dunkelallee, Binsenschlauchallee, Welschneureuter und Teutschneureuter Allee. Abgesehen von der Moltkestraße sind nach anderthalb Jahrhunderten Überbauung nur noch zwei der Radialalleen als Torso übriggeblieben: die ehemalige Dunkelallee mit drei Namenswechseln unter anderem als Michiganstraße und Alfons-Fischer-Allee, die nördliche Kentuckyallee als Fortsetzung der Teutschneureuter Allee.

Die Stadt dehnt sich aus

Bis über 100 Jahre nach Stadtgründung blieb der „Urzustand“ erhalten. Dann erforderte die Konzentration von Militär in der Residenzstadt größere Flächen zum Üben und Aufmarschieren, und nachdem der ursprüngliche Exerzierplatz beim heutigen Engländerplatz zu klein geworden war, wurde um 1820 der 78 ha „Große Exercierplatz“ mit Schießanlage angelegt, der in seiner ehemals nahezu rechteckigen Ausdehnung größtenteils mit dem heute so genannten Alten Flugplatz übereinstimmt: begrenzt im Norden von der Binsenschlauchallee (in etwa eine Linie von der Berufsakademie

bis über die Kurt-Schuhmacher-Straße hinaus), unterschritt er im Süden die Knielinger Allee, begann unmittelbar hinter den Kasernen und den Altbauten des heutigen Klinikums; im Westen entsprach die Begrenzung etwa grob der heutigen Wilhelm-Hausenstein-Allee in der Nordweststadt, während sie im Osten nahezu identisch mit dem Alten Flugplatz war. Sichtbar einschneidender waren seit 1868 die Eisenbahngleise der Strecke Mannheim –Karlsruhe, die exakt mit dem Verlauf der heutigen westlichen Erzbergerstraße übereinstimmten; im Süden bogen sie in einer langen Kurve stadteinwärts. Die Bahnstrecke war angelegt worden, um Züge direkt von Mannheim nicht mehr über die längere und zeitlich langsamere Strecke via Heidelberg führen zu müssen. Die Strecke, der auch militärstrategischen Überlegungen zugrunde lagen, kreuzte das Mühlburger Tor und führte über die Hans-Sachs-Straße und Mathystraße zum Hauptbahnhof in der Kriegsstraße (an Stelle des heutigen Staatstheaters). Mit der Neuanlage des Hauptbahnhofs 1914 wurde sie überflüssig. Auf der Bahn-Trasse wurde nun eine Straße angelegt, wovon heute noch der Straßenname „Alte Bahnlinie“ zeugt. Die direkte Verlängerung nach Süden über den heutigen Weißdornweg in die Erzbergerstraße, damals noch Hindenburgstraße, hatte wenig Ähnlichkeit mit der heutigen doppelsträßigen alleeartigen Erzbergerstraße mit Grünstreifen in der Mitte: Sie war zunächst nur ein schmales Sträßchen, das in den Folgejahren je nach Bebauungsfortschritt bis zu den Flugplatzgebäuden ausgebaut werden sollte. Bis 1890 war der nördliche Teil der Moltkestraße unbebaut, das änderte sich in rascher Folge und mit markanten Gebäuden und Einrichtungen. 1891 zogen die ersten Offiziersanwärter in das riesige Areal der neuen Kadetten-Anstalt (heute Oberfinanzdirektion), 1894 die Soldaten in die neue Infanteriekaserne daneben ein (heute Behördenzentrum). Die unmittelbare Nähe zum Exerzierplatz war geradezu ideal. Die ehemaligen Kasernengebäude an der Moltkestraße stehen in einer Reihe weiterer Kasernenneubauten, die in diesem Zeitraum in Karlsruhe und überall in Deutschland entstanden. Schließlich schickte man sich an, im Zeitalter des Kolonialismus und der Feindschaft gegen den „Erbfeind“ für Deutschland „einen Platz an der Sonne“ einzufordern (Kaiser Wilhelm II.), und dafür waren nach Auffassung der damaligen Eliten Soldaten unentbehrlich, die brauchten Kasernen.

Wohnungsbau oder Flughafen?

Damit war es nach dem für das Deutsche Reich verlorenen Ersten Weltkrieg zu Ende und Soldaten gab es nun keine mehr in der Stadt, sah doch der Versailler Vertrag von 1919 einen von deutschen Soldaten freien Streifen von 50 km östlich des Rheins vor. Die Kasernenbauten dienten nun Polizeizwecken und der Oberfinanzdirektion, der Exerzierplatz lag erst einmal brach und wurde wie in früheren Tagen als Schafweide genutzt, große Teile davon an die Sportvereine der Stadt verpachtet. Am südöstlichen Ende wurde ein großes Areal an den Kleingartenverein Exerzierplatz e.V. in Pacht vergeben, der nach Abgaben an die französischen Streitkräfte, Straßen- und Straßenbahnbau sowie Klinikumerweiterung heute nur noch über ein Rumpfgrundstück im Vergleich zu vordem verfügt. Auf das dem Staat (Land Baden) gehörenden große Areal richteten sich viele begehrliche Blicke des zur industriellen Großstadt herangewachsenen Karlsruhes. Mit dem 1919 per Reichsgesetz neu eingeführten Erbpachtrecht wurde ein Weg gefunden, das Gelände gewinnbringend zu verpachten. Noch im gleichen Jahr sicherte sich angesichts der Wohnungsnot in der Stadt die neuentstandene „Mieter- und Handwerker-Genossenschaft“ – nach Fusionen später die „Gemeinnützige Baugenossenschaft Hardtwaldsiedlung“ – ein 15 ha großes Gelände, auf dem 1921 die großzügige Bebauung mit Einfamilienhäusern im Grünen begann. Zunächst mit dem städtebaulich markanten Waldring beginnend, wuchs die Hardtwaldsiedlung nach Norden und an die Hindenburgstraße (nach 1945 Erzbergerstraße). 1927 mussten auf Beschluss des Stadtrats alle über das bis dahin überbaute Areal hinausgehenden Pläne zur Anlage von Siedlungshäusern ad acta gelegt werden. Ein angedachtes Gegenstück zum halbrunden Waldring kam so nicht mehr zustande. Grund waren die Pläne der Stadt für einen „Verkehrslandeplatz“. „Die Anlage eines guten Flugplatzes ist für Karlsruhe von großer Bedeutung“, erklärte das Bürgermeisteramt 1925. „Es kommt darauf an, nichts zu versäumen und schon jetzt die Grundlage dafür zu schaffen, dass Karlsruhe im internationalen Ost-West und Nord-Südverkehr ein Knotenpunkt wird“. Dafür erblickte die Stadt den Exerzierplatz als geeigneter als das zur Alternative stehende Rintheimer Feld. Schon 1911 war auf dem Exerzierplatz ein erster großer Flugtag mit den Tausende begeisternden kleinen Propellermaschinen abgehalten worden. Und im selben Jahr hatte der fliegerbegeisterte Paul Senge -in der Nordweststadt erinnert eine Straße an ihn – mit selbst konstruierten Eindeckern erste Flugversuche auf dem Platz unternommen. 1909 wurde ein offizieller Zeppelin-Ankerplatz auf dem südlichen Exerzierplatz eingerichtet, die projektierte Zeppelinhalle kam aber wegen der hohen Kosten nicht zustande. Im Ersten Weltkrieg war dann eine militärische Fliegerstaffel auf dem Gelände stationiert. Nach dem Ersten Weltkrieg begann der Aufstieg der zivilen Luftfahrt und 1920 war auf dem Platz erstmals ein Flugzeug der Linie Frankfurt-Lörrach gelandet. Die Stadt stieg in großem Umfang in das „Zukunftsgeschäft“ ein und konnte 1925 im Jahr der offiziellen Inbetriebnahme des „Flugplatzes“ 2.000 beförderte Fluggäste melden (dieses Maximum wurde in den Folgejahren auch kaum überschritten). Dafür wurden weitere Flächen im Norden bis zur heutigen Flughafenstraße in Neureut-Heide einbezogen. 1926 nahm die Flugzeuglinie Karlsruhe – Berlin den Verkehr auf (wurde im Jahr darauf aber schon wieder gestrichen) und bis 1932 konnten über Karlsruhe im Linienverkehr 39 deutsche und europäische Städte, darunter Paris, London, Zürich, Wien, Kopenhagen angeflogen werden. Dies war dann auch schon der Höhepunkt, nun ging es bergab und 1936 war der Flugverkehr von einmal vier festen Linien auf eine zurückgegangen. Ursache waren die Reichspläne zum Ausbau von Frankfurt zum Großflughafen, die Dichte von Verkehrslandeplätzen in der Oberrheinebene und der für die nationalsozialistische Militärplanung ungünstige Lage von Karlsruhe im Grenzland. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte sich auf dem Areal an der heutigen Erzbergerstraße mit der „Badisch-Pfälzischen Flugzeugreparaturwerft“ ein größeres Unternehmen angesiedelt, mit ca. 50 Beschäftigten. Während des Krieges arbeiteten dort zeitweise über 400 Menschen, darunter einige Dutzend Zwangsarbeiter. Nach dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Werkshalle 1947 zogen zunächst verschiedene Metallunternehmen in die Halle, bevor 1954 die Heinkel Motorenbau GmbH ihre Produktion begann. Der Flugzeugbauer Ernst Heinkel, der einen wesentlichen Anteil an der nationalsozialistischen Militärflugzeugproduktion hatte, begann in Karlsruhe mit der Produktion der Heinkel-Zweiräder, bevor er ein Jahr später in Speyer wieder eine Flugzeugfabrik begründete, die neben Luftfahrzeugen auch den berühmten Kabinenroller hervorbrachte. Heute erinnert noch die Bushaltestelle gleichen Namens in der Erzbergerstraße an das Unternehmen, das 1988 nach wechselvollem Geschäftsverlauf seinen Betrieb schloss. Gewerblich werden die Hallen nach wie vor genutzt. 1936 war das heute noch bestehende und gut erkennbare „Zentrum“ des Flughafens als Ersatz für die zu klein gewordenen bisherigen einfachen Betriebsräumlichkeiten fertiggestellt worden, beginnend mit dem Hausmeistergebäude, das noch steht, gefolgt von der Reichssportfliegerschule – heute Erzbergerstraße 109-, die unmittelbar nach 1945 wegen der Not zu Wohnraum umgebaut wurde -, dem Empfangsgebäude, dem Wetterdienst mit Turm und der Flughafenverwaltung mit Gaststätte. Im Krieg wurde der Flugplatz wiederholt das Ziel alliierter Bombenangriffe, das Rollfeld teils durch Bombentrichter unbenutzbar.

Militarisierung und Krieg

Die Nationalsozialisten hatten den Krieg lange vorbereitet, mit dem Verstoß gegen den Versailler Friedensvertrag durch die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 und dem Einmarsch der Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland 1936. Die aggressive Wiederaufrüstung erforderte neue Kasernen, da die alten Kasernen aus Kaiser Wilhelms Zeiten nicht ausreichten. Überall in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre entstanden neue Kasernen, nahezu alle nach ähnlichem Baumuster. In Karlsruhe die spätere Rheinkaserne in Knielingen, die Rheinlandkaserne in Ettlingen, die Mackensenkaserne bei Rintheim. Im April 1938 zogen Soldaten von Telegrafeneinheiten in die mitten im Wald am Kanalweg neu errichtete „General-Forstner-Kaserne“ ein. Damit bestand nun auch im Norden des heutigen Stadtteils eine Bebauung, abgesehen von den bereits bestehenden Schieß- und Vereinsheim-Anlagen der „Schützengesellschaft Karlsruhe 1721 e.V.“ an der Ecke Kanalweg/Linkenheimer Landstraße (heute Gewerbegebiet). Der Kriegsvorbereitung an der „Heimatfront“ diente der gleichzeitige Bau des Luftschutzhochbunkers an der Erzbergerstraße, der den Bewohnern der Hardtwaldsiedlung, aber vor allem auch dem Personal des dann militärisch genutzten Flugplatzes Schutz gewähren sollte. Nach zwölf Jahren „Tausendjährigem Reich“ war es mit der Fliegerei zu Ende, der Flugplatz von der amerikanischen Armee beschlagnahmt. Nichtsdestotrotz träumte die Stadt Karlsruhe bereits ab 1946 davon, künftig den zivilen Flugbetrieb wieder aufnehmen zu können und hoffte auf die Zurückgabe durch die Besatzungsmacht in absehbarer Zeit. Die USAmerikaner, die auf dem Gelände auch größere Treibstofflager und scharfe Munition lagerten, dachten jedoch nicht, das Gelände so schnell aufzugeben, trotz der Tatsache, dass die Einrichtung nur sehr spärlich für einige Transportflugzeuge genutzt wurde. Ein neuer Kontrollturm und Hangars wurden gebaut, die 2001 nach der Konversion abgerissen werden konnten. Auch in späteren Jahren gab es außer dem routinemäßigen Hubschraubereinsatz sowie seltenen Starts und Landungen der 16 stationierten Transport- und Aufklärungsflugzeuge großen Flugbetrieb nur nachdem der Flugplatz nach 1976 in die jährlichen REFORGER-Manöver (Return of Forces to Germany) einbezogen wurde – bis 1993. In der „Forstner-Kaserne“ waren nach 1945 zeitweise bis zu 1.700 Displaced Persons aus Polen und der Sowjetunion untergebracht. Das waren die Menschen, die das NS-Regime während des Krieges zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert hatte; sie warteten nun auf ihre „Repatriierung“. 1947 übernahm die US-Armee die Kaserne für ihre militärischen Zwecke als „Smiley-Barracks“; die aus der NS-Zeit stammende „Kunst am Bau“ mit Nibelungenmythologie (Siegfried-Plastik am Eingang und Nibelungen- Relief am Eingang der heutigen Regulierungsbehörde) beließ sie.

Wohnungsbedarf erfordert neue Flächen

Unterdessen schoben sich angesichts zunehmenden Flächenbedarfs Neubauten in den Alten Flugplatz hinein wie beispielsweise Wohnungsbauten der französischen Armee am ehemaligen Südwestrand des Flugplatzes bei der heutigen Nancystraße in der Nordweststadt. Nach 1952 war von der Stadtverwaltung der Gedanke an eine Wiedernutzung als Flugplatz zugunsten einer Großplanung für einen neuen Stadtteil mit Wohnungen für ca. 25.000 Menschen aufgegeben worden. Der ehemalige Exerzierplatz in Forchheim wurde im gleichen Jahr als Karlsruhes neuer Flughafen“ vorgesehen und 1954 zunächst für Segelflugzeuge in Betrieb genommen – heute befindet sich dort die „Neue Messe“. Im Stadtplanungsamt wurde unterdessen ein Bebauungsplan für Wohnbesiedlung erstellt, der das Gelände des gesamten Alten Flugplatzes einschloss, weil man immer noch davon ausging, über das Areal in absehbarer Zeit wieder zu verfügen. Daraus wurde nichts. 1953 gaben „die Amerikaner“ nur den westlichen Teil des Flugplatzes frei, so dass in den folgenden Jahrzehnten das Gebiet zwischen Wilhem-Hausenstein-Allee und heutige Stadtbahnlinie abschnittsweise und uneinheitlich bebaut wurde. Bebauungspläne des „Rest-Flugplatzes“ werden bis in die heutige Zeit verfolgt.

Abermaliges Anknabbern des Hardtwaldes

1948 hatte es Aufsehen erregende Planungen von Politikern und Architekten gegeben, den Hardtwald unmittelbar nördlich des Schlossgartens mit Wohnungen für bis zu 25.000 Menschen vorzusehen, was dann doch nicht umgesetzt wurde. An Stelle dieses radikalen Eingriffs wurde im Jahre 1950 angesichts der Wohnungsnot mit dem Bau von Zeilenhäusern an der östlichen Erzbergerstraße begonnen. Fünf Blocks der „Gemeinnützigen Genossenschaft der Eigenwohner“ mit Zwei- und Dreizimmerwohnungen wurden seit Juli unter Hochdruck errichtet. Es waren dies die ersten Eigentumswohnungen in der Stadt. Nördlich daran wurde zeitgleich mit dem Bau von weiteren Blocks der „Parkring-Genossenschaft“ mit je 36 Wohneinheiten begonnen. Nicht nur der Komfort mit Zentralheizung wurde als vorbildlich empfunden, Kassettentüren im Bad als Ablagefläche galten als durchdachte Konstruktion. Das Konzept stellte nach gängiger Ansicht eine „schonende“ Waldrodung mit „parkähnlicher“ Wohneinbindung dar. Dieser Gedanke wurde dann auch für das „Amerikaner-Viertel“ umgesetzt.

„Die Amerikaner“ kommen…

Parallel zur Bebauung der südlichen Erzbergerstraße begann die Wohnbebauung für die amerikanischen Soldaten und ihre Familien nördlich davon. Mit einer Gesamtlänge von 2 km war damit Karlsruhes größte Baustelle entstanden. Bereits damals gab es Überlegungen eine Straßenbahnverbindung an der Erzbergerstraße anzulegen, dann aber doch lieber Omnibusverkehr mit Oberleitungsantrieb einzurichten. Nichts davon wurde verwirklicht. Das US-Headquarter hatte 1949 konkrete Pläne für eine eigene Wohnsiedlung anstelle der bisher verstreut beschlagnahmten Wohnungen und Häuser in der Stadt, was letztlich ebenso im Interesse der Betroffenen wie der Stadtverwaltung lag. Vier Gelände standen zur Auswahl: bei der Polizeikaserne in Durlach, bei der Rheinkaserne in Knielingen, das Gebiet des heutigen Märchenviertels in Rüppurr. Die Entscheidung der Amerikaner fiel auf den Hardtwald an der Erzbergerstraße angesichts des benachbarten Flugplatzes und der Smiley-Barracks. Das Architekturbüro Hermann Backhaus& Harro Brosinsky, der erste kurz vor Abschluss seines Architekturstudiums, der zweite gerade diplomiert, ergatterte sich mit der Unverfrorenheit einer neuen Aufbruchstimmung diesen Auftrag zum Bau einer Siedlung für geplante 5.000 Personen. Dies war der Beginn einer steilen Architekten-Karriere. Seit 1960 arbeiteten sie in ihrem lichten Büro im Obergeschoss der kleinen Ladenzeile an der Ecke Erzbergerstraße/Michiganstraße. 1971 errichteten sie in „ihrem“ Stadtteil die Neue Synagoge an der Knielinger Allee, später Ersatz für die 1938 niedergebrannten und zerstörten jüdischen Synagogen in der Kronen- und Karl-Friedrich-Straße.…und richten sich ein auf einer Länge von 1,2 km wurden fünf Karrees mit hufeisenförmiger Zeilenbebauung zu einem Gesamtpreis von rund 8,5 Millionen DM angelegt, die als Besatzungskosten zu tragen waren, angelegt. Zur Jahreswende 1950/51 zogen die ersten Amerikaner in die neuen Wohnungen ein. Die Karlsruher erzählten sich „märchenhaftes“ über die Wohnungen mit ihren 45 qm großen Wohnzimmern, die komplett mit Küche, Möbeln, Vorhängen, Polstermöbeln einschließlich Bettzeug und Besteck uniform ausgestattet waren. „Großzügig, komfortabel“, „für deutsche Begriffe bisweilen verschwenderisch“, berichtete die BNN darüber und der Redakteur konnte sich die Anfügung der eigenen Ansicht nicht verkneifen: „Wohnungen müssten sein, keine Frage. Aber wäre es nicht billiger gegangen? …Ob die Amerikaner andererseits begreifen, dass wir für die großzügige Art, in der sie sich Wohnungen bauen ließen, nicht ganz das gleiche Maß an Bewunderung aufzubringen vermögen?“ Auch wenn „unsere Gäste aus Übersee“ allgemein einen höheren Lebensstandard hätten und nicht sparen müssten, schloss der BNN-Redakteur. Obwohl die Bundesrepublik Deutschland zu diesem Zeitpunkt angesichts des Kalten Krieges zum antikommunistischen Vorposten mit der „Schutzmacht“ USA geworden war, lässt sich ein gewisses Ressentiment gegen dem „großen Bruder“ USA in solchen und ähnlichen Äußerungen nicht leugnen. Begeisterung und Missbehagen über „die Amerikaner“ lagen nahe beieinander und diese Ambivalenz hielt sich über die folgenden Jahrzehnte. Konflikte wegen amerikanischen Dienstnotwendigkeiten wie bei Rodungsmaßnahmen bei der Einzäunung des Flugplatzes ebenso wie beim Freizeitverhalten, beispielsweise die Tontaubenschießanlage des Rod & Gun Clubs in den 1960er Jahren unmittelbar bei den Wohnhäusern von Neureut-Heide, wurden durch Einschalten höchster Stellen schnell zum Politikum. Im „offenen Brief“ des Heide-Bürgervereinsvorsitzenden 1961 klingt Hintergründigeres an, als die bloße Sorge vor Lärmbelästigung, wenn er schrieb: „Ja meine Herren Tontauben-Amis, wir in der Heide sind auch Demokraten und lassen jedem gerne seine Freiheit oder auch seinen Spleen…“ Vorderhand richteten sich die Gescholtenen aber behaglich in dem neuen Stadtteil ein, wo „nirgendwo außer hier auf einem bebauten Gelände ähnlich großer Ausdehnung so wenig Menschen wie hier“ (BNN 21.4.1951) lebten. Wenn man der Berichterstattung glaubte, waren die Mansarden unter dem Dach auch für Dienstpersonal gedacht, außerdem stand pro Hauseingang unter dem Dach ein Spielzimmer mit 100 qm zur Verfügung. Später wurden von der einheimischen Bevölkerung chromglitzernde Straßenkreuzer in den damals breiten Erschließungsstraßen und der heute zurück gebauten Rhode-Island-Allee bestaunt. Die neue Siedlung hatte noch keinen Namen. Der Karlsruher Volksmund sprach von „Klein-Amerika“ oder der „Ami-Siedlung“. Erst im Juli 1954 wurde ihr ohne große Feierlichkeit durch das US-Headquarter der Name „Paul-Revere-Village“ nach dem Freiheitshelden des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges gegeben. Im Mai 1952 begann mit dem ersten Spatenstich die östliche Erweiterung für zunächst 12 Blöcke in 45 Grad-Winkel. Dies war der Beginn der Bebauung Tennessee-Allee und später der Kentucky-Allee. Im selben Jahr begann der Bau des Offizierskasinos an der Dunkelallee (Michiganstraße); ebenso des „amerikanischen Kaufhauses“ (PX-Laden), und eines Kinos westlich der Erzbergerstraße. Dadurch wurde 1954 das Gebäude der ehemaligen „Karlsruher Lebensversicherung“ am Mühlburger Tor frei, in dem sich bis dahin eine Reihe amerikanischer Versorgungseinrichtungen, u.a. das „PXKaufhaus“, befunden hatten. Die Stadt hatte schon lange Begehrlichkeiten darauf gerichtet und konnte es nun als Rathaus-West nutzen.

Die Bautätigkeit geht weiter

Komplettiert wurde die Wohnbebauung im (deutschen) Stadtteil durch den Anschluss von einem weiteren Wohnblock an die bestehenden Blöcke der südlichen Erzbergerstraße für höhere Beamte, darunter Bundesrichter – Erzbergerstraße 92-98. Nach Meinungsverschiedenheiten im Gemeinderat 1956 wurde das Wald-Dreieck zum Parkring (heute Adenauer-Ring) in der Beckstraße ab 1957 mit acht Häusern nach Schweizer Patent (ein Hauseingang mit zwei Treppenhäusern und vier Wohnungen pro Geschoss) bebaut. „Nochmals 28 amerikanische Wohnhäuser im Hardtwald“, berichtete die BNN zum Jahresbeginn 1955 und dass zu den 65 ha Siedlungsgebiet abermals 10 ha vom Hardtwald für den Bau von Ein- und zwei Familienhäusern für US-Offiziere am künftigen Louisiana-Ring abgekappt werden sollten. 1950 war ursprünglich vereinbart worden, von den Rändern an der Erzbergerstraße nicht tiefer in den Hardtwald zu bauen. Die Freigabe, auch wenn dem Förster dabei das „Herz blutete“, war unter der Annahme der baldigen Freigabe des Flugplatzgeländes für städtische Wohnbebauung erfolgt. In den 1970er Jahren lebten 6.500 US Soldaten in Karlsruhe, mit ihren Familien 12.000 Menschen. Keineswegs alle wohnten in den 1230 Wohnungen der „Amisiedlung“. Nicht alle wollten im „eigenen Wohnviertel“ unter sich bleiben und suchten sich auf dem Wohnungsmarkt eine Bleibe, was mit dem Dollarverfall im Laufe der Jahre allerdings immer schlechter ging. Die nahezu autarke Infrastruktur, die noch bis in die letzten Jahre erweitert wurde, z.B. 1983 mit der Erweiterung der 1952 errichteten Elementary-School und großzügigem Bau der High-School (nun Heisenberg-Privatgymnasium) bis hin zur eigenen modernen Kieferklinik und Ambulanz 1989 und einer zusätzlichen, großzügigen Kindertagesstätte in der Kentucky-Allee, erleichterte das Für-Sich-Leben. Der deutsch-amerikanische Kontakt, der sich vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliktes entwickelte, lief von offizieller Seite über spezielle Verbindungsoffiziere. Daneben bestanden zahlreiche halboffizielle Verbindungen über den “Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsclub“ oder den 1957 gebildeten „Internationalen Frauenclub“, letzterer nicht nur Organisator des mittlerweile etablierten „Pfennig-Basar“. Sicherlich sind auch ganz private deutsch-amerikanische Kontakte und Freundschaften entstanden – Eheschließungen eingeschlossen -, soweit möglich vor dem Hintergrund von Stationierungszeiten von zwei bis drei Jahren. Nicht vergessen werden sollten die fast 800 deutschen Zivilangestellten für die US-Streitkräfte und ihre zivilen Einrichtungen. Insgesamt war es ein Verhältnis zwischen Verbundenheit, Dankbarkeit und Bewunderung wegen der politischen Umstände und dem amerikanischen Lebensstil als Vorbild auf der einen Seite und einem Ressentiment, gespeist aus so unterschiedlichen Motiven wie Ablehnung des „American Way of Life“ mit seiner andersartigen und multiethnischen Kultur, Ablehnung aus dem rechten und linken politischen Koordinatensystem und – Rassismus auf der anderen Seite. Farbige GIs erfuhren außerhalb „ihres Viertels“ vielfältige Diskriminierungen. Dagegen zog es alljährlich Tausende Karlsruher zum „Deutsch-Amerikanischen Volksfest“ – der „Ami-Mess“ mit Festzelt, Fahrgeschäft und der legendären Ice-Cream. Im April 1986 sahen die Bewohner einen Demonstrationszug der Antikriegsbewegung von fast 1.000 Teilnehmern aus der Innenstadt zur Michiganstraße in den dann abgeriegelten Stadtteil als Protest auf die Bombardierung libyscher Städte durch US-Luftstreitkräfte; Libyen war in der westlichen Welt als Urheber des Anschlags auf eine US-Passagiermaschine mit hunderten Toten über dem schottischen Lokkerbie angesehen worden.

Ein kompletter Neuanfang für einen neuen Stadtteil

Die weltpolitische Änderung nach 1989 veränderte für den Stadtteil alles: Die Verminderung von NATO-Streitkräften in Deutschland war mit dem Komplettabzug der US-Streitkräfte aus Karlsruhe verbunden. Nun rückte nicht nur die Rückgabe des lange umstrittenen Flugplatzes, 1993, in den Mittelpunkt, sondern die Gewinnung eines kompletten Stadtteils mit 100 ha. Mit dem Abzug des „letzten“ US-Soldaten im Spätsommer 1995 standen die Voraussetzungen zur künftigen Entwicklung bereits fest. Die Stadt konnte im selben Jahr 84 ha mit 881 Wohnungen von dem Bundesfiskus gehörenden Areal für 115 Millionen DM erwerben. Zugleich mit dem Einzug der ersten neuen Bewohner war per Bürgermeisteramtsbeschluss zum 1. Januar 1996 ein neuer Stadtteil amtlich geboren: aus Hardtwaldsiedlung und „Amisiedlung“ war die neue Nordstadt entstanden. Damit war der Beginn für die Neugestaltung eines kompletten Stadtteils verbunden, der nach Ausschreibung eines Architekturwettbewerbs mit bunten Aufstockungen mit Pultdach sowie Nachverdichtungen ein fast vollkommen neues Aussehen bekam und die Anzahl der Wohnungen nahezu verdoppelte, und der bis heute noch nicht zum vorläufigen Abschluss gekommen ist. Nicht zuletzt die amerikanischen Straßennamen erinnern bleibend an den Ursprung.

Quellen, Literatur:

Stadtarchiv Karlsruhe: 8/ZGS 14a-d, 27a; 1/HReg 5465

BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland,Naturschutzbund Deutschland (Hrsg.): Alter Flugplatz Karlsruhe. Geschichte – Ökologie– Bedrohung –Schutz. 3. Auflage, Karlsruhe 1997 [Broschüre].

Amalie Heck: 200 Jahre Karlsruher Flug- und Luftfahrtgeschichte. Karlsruhe 1998.

Manfred Koch: Zwischen Währungsreform und Wirtschaftswunder. Wiederaufbau und Ausbau, in: Karlsruhe. Die Stadtgeschichte. Stadt Karlsruhe,Stadtarchiv (Hrsg.). Karlsruhe 1998, S.566-588.

Manfred Koch: Vom Exerzierfeld zur Landepiste,Die Flugplätze Karlsruhe und Forchheim, in: Manfred Koch, Manfred Morlok (Hrsg.): VonGraspisten zum Baden-Airport. Luftfahrt in Mittelbaden. Karlsruhe 1999, S. 63-124.

Christian Lutz: Die amerikanischen Streitkräfte in Karlsruhe. o.O., o.J. [1996/97]